Der großartige Wahn einer kleinkarierten Frau an einem Ort voll Glanz, Gewalt und blauer Kacheln




Stimmen der Presse

Nürnberger Nachrichten Abendzeitung Plärrer




Nürnberger Nachrichten - Kultur Regional - 9. Mai 2003
Der Wahn der Fliesen-Fee
Hans-Günter Brodmann drehte im Nürnberger Volksbad seinen Film „Die Kachelzählerin”

Wozu das verfallende Nürnberger Volksbad doch gut sein kann: Hier stellt eine etwas sauertöpfische Eremitin ihr Bügelbrett auf, dazu Tisch, Bett und Stuhl, um einem buchhalterischen Job nachzugehen. Sie zählt täglich neue Kachelreihen, streicht mal mit einem Pinselchen zwischen die Fugen und hängt ihren weißen Kittel nach getaner Arbeit penibel wieder auf den Bügel.

Das Ritual wiederholt sich punktgenau, eingebunden in den Rhythmus spröder, die versteckten Emotionen der Kachelzählerin diskret illustrierender Musik. Wie einen Fotoroman hat der Nürnberger Schlagzeuger und Filmemacher Hans-Günter Brodmann sein erstes großes Projekt konzipiert, mit dem er als „Augen und Ohrenmensch", so sagt er, in neue Erfahrungswelten eintauchte. Noch ganz im ,,Dilirium der Vorbereitungen” auf die Premiere hat er bis zum letzten Moment an der Post-Produktion daheim am Computer gearbeitet, um „Die Kachelzählerin” in Form zu bringen. Präsentiert wird das Werk während der Blauen Nacht am 17. Mai. Dann kann sich das Publikum ein Bild machen vom „großartigen Wahn einer kleinkarierten Frau an einem Ort voll Glanz, Gewalt und blauer Kacheln”, wie es im Untertitel heißt .

Alb oder Lustträume
Marina Schütz spielt die spießige Protagonistin im Look der Fünfziger, straffes Kostüm und strenge Bluse, alles immer fein gefältelt in den Koffer gepackt. Den bringt sie bei Dienstantritt mit in die Stadt, die Kamera, bleibt ihr auf den Fersen, während sie beim Pizzadienst die tägliche Lieferung ins Hallenbad bestellt. Nürnberg einmal als Location für ein filmisches Experiment es kommt nicht oft vor und entfaltet mitsamt der fein abgestimmten Geräuschkulisse seinen Reiz. Doch der Musiker Brodmann setzt mit seinem Kollegen Frank Möbus und dem Regisseur Veit Güssow doch mehr aufs klaustrophische Element, die Architektur des Jugendstilbads ist keineswegs dominant. Die Monotonie einer Kachelwand provoziert wahre Alb oder Lustträume, je nach Perspektive des Betrachters. Brodmanns Team durchforschte die Unterwelt am Plärrer, in den Kellerfluchten eines stillgelegten Badetempels lassen sich tausenderlei Motive entdecken für die Ängste und Sehnsüchte einer Frau unter Kontrolle. In glatte, knallige Designer-Tableaus mischen sich Fantasiebilder vom Leben jenseits der akkuraten Kachel-Linie. Da bügelt sich die Heldin im leichten Swing-Rausch (die Sektfläschchen sind vorsorglich etikettiert) schon mal mitten ins Gesicht.

Keine finale Pointe
Mit der Komik ist es bei der Kachelzählerin allerdings so eine Sache. Ihre frei improvisierenden Erfinder, die Bilder und Töne klug vernetzen, haben der Story keine finale Pointe abgewonnen. So bleibt es der Vorstellungskraft der Zuschauer überlassen, ob die strikte Volksbadfee auch noch das Zeug zum Flower-Power-Girl hat. Die Vorzüge der digitalen Technik jedenfalls konnten Brodmann & Co voll nutzen zur Blauen Nacht haben sie nicht nur farblich die passende Stimmung gefunden.

I.R.